Klimawandel im Kongo bringt Meeresschildkröten in Not | Afrika | DW | 09.03.2022

2022-05-21 12:19:12 By : Mr. Wekin Cai

Wir verwenden Cookies, um unser Angebot für Sie zu verbessern. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Der Kongo hat nur 37 Kilometer Küste - gerade hier ist der Klimawandel besonders greifbar. Der ansteigende Meeresspiegel lässt den Strand schwinden, in dem Schildkröten ihre Eier legen. Jetzt sind Tierschützer gefragt.

Den Weg in Richtung Sicherheit muss Christian Ndombeden winzigen Schildkröten nicht zeigen. Es ist ihr Instinkt, der sie die Sandbank hinunter zum Meer watscheln lässt. Mit jeder Welle werden ein paar von ihnen weggetragen. "Sie werden bis zu zwei Kilometer hinausschwimmen. Dort tauchen sie hinab in ein Milieu, wo sie Nahrung finden", erklärt Ndombe, 29 Jahre alt. Er betreut für die kongolesische Umweltschutzbehörde - das Institut congolais pour la conservation de la nature - die Schildkröten an der kongolesischen Atlantikküste, nahe der Stadt Muanda.

Ein paar Wellen später sind nur noch ein Dutzend der rund 300 Schildkröten übrig, die Ndombe zuvor mit einem blauen Eimer an den Strand getragen hatte, um sie dort behutsam in den Sand zu schütten. Nun liest er die letzten mit der Hand auf und gibt ihnen den rettenden Schubs ins Wasser. "Man muss die Schildkörten so lange beobachten, bis sie fertig sind. Erst danach kehre ich zurück", sagt er angesichts der Bedrohungen, denen sie hier ausgesetzt sind.

Der Instinkt lässt die frisch geschlüpften Schildkröten den Weg ins rettende Meer finden

Die Vögel, die in Sichtweite auf den Sandhügeln herumstaksen und auf den Metern in Richtung Meer noch Jagd auf sie machen können, sind da noch das kleinste Übel. Eine andere Gefahr sind Bewohner der angrenzenden Dörfer, die die Eier für den Verzehr einsammeln, sobald die Weibchen sie auf den Sandbänken zurückgelassen haben. Die alles überschattende Gefahr ist jedoch der Klimawandel: "Die Erhöhung des Meeresspiegels verringert den Strand", erklärt Ndombe. "Wenn es keinen Strand mehr gibt: Wo sollen die Schildkröten dann ihre Eier legen?"

Die sonst so riesige Demokratische Republik Kongo hat nur einen schmalen Küstenstreifen von 37 Kilometern, eingekeilt zwischen Angola im Süden und der angolanischen Exklave Cabinda im Norden. Der belgische König Leopold II. hatte für die spätere belgische Kolonie (die er damals als "Freistaat Kongo" zu seinem Privatbesitz erklärte) auf der Berliner Kongokonferenz in den Jahren 1884 und 1885 den Zugang zum Meer ausgehandelt.

Geologe Albert Kabasele hat das Voranschreiten des Meeres mit Satellitendaten gemessen

Hier sind die Auswirkungen des Klimawandels besonders greifbar. 5,56 Millimeter täglich hat sich der Atlantische Ozean zwischen den Jahren 1986 und 2016 durchschnittlich ins Landesinnere gefressen. Das hat Albert Kabasele Yengayenga berechnet, Direktor des Geologischen Instituts des Kongo an der Nationalen Pädagogischen Universität in Kinshasa.

Um das Überleben der Schildkröten zu sichern, griff die Umweltschutzbehörde ein. Jährlich ab Mitte Oktober legen die Schildkröten über einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten ihre Eier in dem Gebiet an der Mündung des Kongoflusses ab, das an den Mangroven-Nationalpark angrenzt. Ab diesem Zeitpunkt sind Parkranger wie Christian Ndombe auch am Strand unterwegs. "Die Schildkröten begeben sich meist nachts an den Strand, um ihre Eier abzulegen. Sobald sie fertig sind, kehren sie ins Wasser zurück", erklärt Ndombe. Zwischen sieben Uhr abends und fünf Uhr morgens schickt die Behörde daher die Ranger auf Patrouille. "Sie sind da, um die Eier zu bewachen und zu uns in die Brutstätte zu bringen."

In Bottichen nimmt Ndombe die Eier in einer Hütte mit Blick aufs Meer in Empfang. Barfüßig steht der Hüter der Schildkröten im Sand, in kurzer Badehose und khakifarbenem Uniformpullover. "Sobald sie hier ankommen, nehme ich die Eier und vergrabe sie - auf die gleiche Weise, wie die Schildkröte sie gelegt hätte", erklärt er. Hunderte kreisrunde Behälter aus Mettalgitter, sorgfältig im Sand angeordnet und abgedeckt durch Moskitonetze, schützen sie vor Angreifern.

Zum Sonnenaufgang setzt der Parkwächter Christian Ndombe die jungen Schildkröten am Strand aus

Nach etwas mehr als 50 Tagen sind die Schildkröten geschlüpft, etwa handtellergroß und stark genug, um sich dem Gang ins Meer zu stellen. So wie an diesem Morgen um sechs Uhr, direkt nach Sonnenaufgang. Ndombe legt sie in seinen blauen Eimer. Die Jungtiere sind voller Energie: Es hört sich an wie ein prasselnder Regen, wenn sie mit ihren kleinen Armen und Beinen herumzuwuseln beginnen. Der Ranger hebt den Eimer an und läuft mit ihnen zum Strand, wo er sie schließlich ihrem Schicksal überlassen wird.

Für Professor Kabasele ist die Überlebenskrise der Schildkröten ein Warnsignal, das auf weitere ökologische Folgen des Klimawandels hinweist: "Ich rechne mit einer apokalyptischen Welt für Muanda - und ich habe Angst", sagt er. Er ist spezialisiert darauf, mit Satellitendaten zu arbeiten. Sein abgedunkeltes und klimatisiertes Büro in der Hauptstadt Kinshasa muss er dafür kaum verlassen. Es sind vor allem Daten der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, die er nutzt. Die Daten des Landsat-Programms seien ein "Geschenk", sagt er: "Dieser Satellit ist wertvoll für mich".

Denn die Geodaten sind offen zugänglich, beispielsweise, um Entwaldung, Temperatur und Wasseroberflächen darstellbar zu machen. Das gibt dem sonst eher bescheiden ausgestatteten Institut Daten an die Hand - im konkreten Fall präzise Angaben über den voranschreitenden Verlust des Strandes. Insgesamt sind es zwischen 55 und 61 Metern in nur 30 Jahren.

Jeden Tag weicht das Land einige Millimeter zurück - Schutzmaßnahmen zum Trotz

Ein Grund ist die Erhöhung der Meerestemperatur durch den Klimawandel. "Die Polkappen schmelzen in einer großen Geschwindigkeit, was die Wassermasse erhöht", erklärt Kabasele. Auch das vor allem aus dem Pazifik bekannte Wetterphänomen El-Niño erhöhe den Druck auf die Küste, erklärt er: "Der Ozean erhitzt sich und wird wild." Das ungleichmäßige Auftreten des atlantischen Niño steckt für den Geologen auch hinter dem ungleichmäßigen Fortschreiten der Erosion. In manchen Phasen seien es 1,5 Millimeter, in anderen 12,4 Millimeter am Tag.

Der südlichste Zipfel der kongolesischen Küste ist eine Landzunge, das Ende einer etwa zehn Kilometer langen Halbinsel, stellenweise nur wenige hundert Meter breit. Hier trifft der massige Kongo-Fluss auf den Ozean. Alphonse Khonde Lelo stapft über die erdige Piste, auf der Motorradtaxis und LKW an ihm vorbeiwackeln, und nimmt dann ein paar Schritte hinab durch die Sandbank, die direkt daran angrenzt.

Vor seinen Füßen brechen die Wellen. "Hier war einmal der Strand", sagt Khonde, dessen lokale Nichtregierungsorganisation - das Comité de Concertation pour le Développement du Territoire de Muanda - sich um die Belange der Bürger der Küstenstadt mit ihren gut 200.000 Einwohnern kümmert. Der 33-Jährige balanciert auf den Steinen, die seinen Füßen hier noch Halt geben. Die Sonne brennt auf ihn herab. Der UV-Schutz lässt seine Brille verdunkeln. "Hier gibt es keine Möglichkeiten mehr für Aktivitäten wie Spaziergänge und so weiter. Das ist nicht mehr möglich, weil die Risiken zu groß sind. Der Strand existiert nicht mehr", sagt er. Schildkröten finden an vielen Stellen gar keinen Raum mehr, um ihre Eier zu legen.

Alphonse Khonde der lokalen Zivilgesellschaft beklagt auch Probleme für die Einwohner Muandas

In welche Richtung Alphonse auch schaut - es offenbart sich ihm die zerstörerische Kraft des Meeres. Die asphaltierte Straße, die einst hier entlang führte, ist zum Meer hin weggebrochen. Das staatliche Unternehmen Perencorep, das nicht weit entfernt im Meer nach Öl bohrt, hat eine Schutzwand aus Kunststoff errichtet - zum Schutz der hier verlaufenden Nationalstraße eins. Das Material ist längst vom Salzwasser zerfressen, weggerissen und unterspült. "Ab einem bestimmten Punkt hat der Wasseranstieg des Ozeans die Straße zerstört. Naturgemäß lässt sich Wasser nicht aufhalten", sagt Alphonse.

Die Giraffe liebt Savannenlandschaften, doch der Verlust ihres Lebensraumes setzt ihnen zu. Auch 2021 steht das große, gefleckte Tier auf der Internationalen Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN): Es gilt als gefährdet. Immer öfter wird Savanne in Weideflächen und Felder umgewandelt und für Bergbau genutzt. Schätzungsweise gibt es weniger als 100.000 der einst weit verbreiteten Langhälse.

Die kleinen Lemuren - sie gehören zu den Feuchtnasenaffen - sind ausschließlich auf Madagaskar und vorgelagerten Inseln im Osten Afrikas beheimatet. Alle Vertreter dieser Art sind als gefährdet eingestuft worden, einige sogar stark vom Aussterben bedroht. Weniger als 1000 Lemuren leben noch in den Wäldern, besonders gern sind sie nachts unterwegs.

Schnell wie der Wind - so werden Geparden oft beschrieben. Die Raubkatzen sind hochbegabte Jäger: Sie können innerhalb von nur drei Sekunden auf bis zu 95 Kilometer beschleunigen. Wie Spikes setzen sie ihre Krallen beim Lauf ein, sie sind die schnellsten Landsäugetiere der Welt. Doch der Jäger Mensch bedroht ihre Existenz, es werden immer weniger.

Das Töten von Löwen und der schwindende Lebensraum machen dem König der Tiere zu schaffen. Einst waren sie die Herrscher der Savanne, inzwischen ist die Situation laut WWF (World Wide Fund for Nature) dramatisch: In Westafrika gibt es demnach nur noch 500 Löwen, auf dem Kontinent wohl noch 20.000. Meist leben sie isoliert in großen Nationalparks.

Alle vier Gorilla-Unterarten sind auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere zu finden. Der Berggorilla im Dschungel, meist in den Regenwäldern des Kongobeckens, ist auch durch höhere Temperaturen des Klimawandels in Gefahr, er gerät in Stress, sagen Umweltschützer. Aber auch Wilderei, Abholzung von Wäldern und das Ebola-Virus reduziert die Tierbestände.

Nashörner gehören zu den Überlebenden der Urzeit. Sie sind gefährdet, besonders das Spitzmaulnashorn ist stark vom Aussterben bedroht: Wilderer haben es auf das Horn aus Keratin abgesehen - töten aber meist das ganze Tier. Vom nördlichen Breitmaulnashorn existieren seit dem Tod der letzten Exemplare sogar nur noch eingefrorene Embryonen, die von einer Leihmutter ausgetragen werden sollen.

Meeresschildkröten werden weniger - weltweit gibt es noch sieben Arten. Vor langer Zeit bevölkerten sie die Meere, sie überlebten Dinosaurier, Naturkatastrophen und Eiszeit. Heute ist die Zivilisation ihr Feind: Sie sind gefährdet, besonders wenn die Tiere zur Eiablage die Strände aufsuchen. Und sie können den im Meer treibenden Plastikmüll nicht von ihrer Lieblingsspeise unterscheiden: Quallen.

Thunfische sind im Aufwärtstrend - so lautet die gute Nachricht der jetzt aktualisierten Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN. Vier kommerziell gefangene Thunfischarten haben sich dank der Durchsetzung regionaler Fangquoten in den letzten zehn Jahren erholt. Aber der Druck auf die Meeresarten steigt. 37 Prozent der Haie und Rochen sind vom Aussterben - vor allem durch Überfischung - bedroht.

Zwei der großen Verlierer auf der aktuellen Roten Liste sind der Afrikanische Wald- und der Savannenelefant. Die Dickhäuter des Waldes sind vom Aussterben bedroht, die in der Savanne gelten als stark gefährdet. Sie flüchten vor Wilderei, und wenn Menschen sich immer mehr in den angestammten Lebensräumen der Tiere ausbreiten, kommt sie häufiger in Konflikte mit den großen Pflanzenfressern.

Auch für die Bewohner Muandas ist das sich ausweitende Meer eine Bedrohung. Einige von ihnen leben vom Tourismus. Doch welche Zukunft bleibt der Branche bei schwindenden Stränden? Einige Häuser, einst mit verlockendem Blick in Meeresnähe errichtet, hat die Erosion bereits wegbrechen lassen. Überschwemmungen spülen zudem Salz auf das Land und machen es für die Landwirtschaft unbrauchbar.

Weiter nördlich an der Küste, dort wo der Parkwächter Ndombe die Schildkröten ausgesetzt hat, ist nun auch die letzte Schildkörte von den Wellen davongetragen worden. "Die Männchen bleiben im Wasser, aber die Weibchen kommen nach zehn bis 15 Jahren hierher zurück", sagt Ndombe. "Dort, wo die weibliche Schildkröte geboren ist, wird sie wieder ihre Eier legen". Der Strand, den sie vorfinden werden, dürfte dann ein noch begrenzterer Lebensraum sein.

© 2022 Deutsche Welle | Datenschutz | Erklärung zur Barrierefreiheit | Impressum | Kontakt | Mobile Version